SPECIAL BUSINESS-SATIRE liegen. Klar ist auch, nach welchen Feiertagen am meisten Krankenabwesen heiten zu ver- zeichnen sind. Belegt ist ebenfalls schon seit längerem, wie lange sich der durchschnittliche Besuch in Betriebskantine, Raucherecke und Toiletten hinzieht. Die Auswertung zeigt Säulen für Mitarbeiter, Alters- und Hierarchiegruppen separiert. Hannes ist sich zwar nicht ganz im Klaren, was man mit all dem Big- und Small-Data- Zeugs macht, aber gut ist sicherlich schon, wenn man das alles weiß... Nun geht es um die Zufriedenheit und die weichen Fakto- ren. Man soll nicht nur wissen, wie lange die durchschnittlichen Smalltalk-Gespräche beim Warten an den Aufzügen zum Per so nal - restaurant dauern, sondern wie zufrieden das Warten vor der Kaffeemaschine gemacht hat, wenn man zuschaut, wie sich die mitt- lere, dunkle oder helle Mokka-Mischung mit der Milch für den Cappuccino vereinigt. Jetzt wird gevotet, was das Zeug hält Also beginnt Hannes, systematisch Orte zu bezeichnen, wo unmittelbar eine Be- wertungs-Box hingestellt werden soll. Die Bewertungsbox „Votix“ ist ein selbst produ- zierter kleiner Voting-Apparat auf einer Dreibeinstütze und den beliebten, großen Buttons mit den drei Smileys „lächeln“, „neutral“, „wütend“. Alternativ wird es auch eine Smartphone-App geben, wo gleiches bewertet werden kann. Konkret ist somit ist der Vorgang beschrieben: Wer die Kaffeetasse der Maschine wieder entnimmt, wird sofort per App aufge for dert (oder macht es manuell an der Votix), die Zu friedenheit des Kaffeeoutputs zu bewer- ten. So geht es weiter. Man darf voten, wie sauber die Toiletten empfunden wurden, wie kompetent die IT-Supporter das Pro- blem lösten, wie zügig die Kollegin am Empfang die Besucher-Karten ausgefüllt hat, wie zufrieden man mit dem Duft des neuen Reinigungsmittels der Tiefgarage ist, was man von der Anlaufzeit der neuen Klima-Anlage im Sitzungszimmer hält. Zwischen Votix, WhatsApp und 4,316 Minuten Toilettengang Selbstverständlich baut Hannes im Prozess und den entsprechenden Steuerungsprogram - men auch noch eine Sicherheitsschlaufe ein. Da jegliche Voting-Stationen den Perso nal- Badge erkennen, weiß man auch, wer ver- gessen hat, zu beurteilen. Diese Person erhält demnach eine Stunde nach dem Toiletten- gang eine WhatsApp und eine E-Mail mit dem Text: „Vor kurzen durften wir Sie auf unseren Toiletten begrüßen. Ihr Besuch dauerte 4,316 Minuten und der Wasserver- brauch war durchschnittlich. Es freut uns, wenn Sie uns noch beurteilen. Danke, Ihr Hausdienst“. Hannes ist beruhigt, mit relativ einfachen Mitteln geschafft zu haben, worüber man sich schon lange Sorgen macht. Sind die Mitarbeiter tatsächlich mit den peripheren, internen Dienstleistungen zufrieden? Was die Zahlen dann wirklich aussagen, das herauszufiltern, ist ein Projekt fürs nächste Jahr und was allfällige Folgen davon sind, reicht auch, wenn das bis ins übernächste Jahr noch reifen kann. Man muss ja nichts überstürzen, gerade bei solch strategisch wichtigen digitalen Konzepten… Fachliches Fazit „Zählen und Messen ist die Grundlage der fruchtbarsten, sichersten und genauesten wissenschaftlichen Methoden“, schrieb Hermann von Helmholtz im Jahr 1879. Wer hätte gedacht, wie recht der Physiologe und Physiker von einst bekommen wird. In der Zeit, als Thomas A. Edison die erste Glühlampe zu leuchten brachte und der Salpeterkrieg in Südamerika herrschte, hat er vorweggenommen, was 140 Jahre später zum Mantra in Unternehmen geworden ist: Nur was in Zahlen messbar ist, gibt es. Das eigentliche Controllerdenken ist im Sog von Balanced Scorecards und ähnlichen Aspekten zur Ver nunfterklärung geworden. Selbst das, was eigentlich nicht messbar ist, wie „Motivation“ oder „Zufriedenheit“, wird in eine Skala gequetscht. Die Sehnsucht nach Objektivität ist das eine, das Verstecken hinter Zahlen ist das andere. Wer schlechte Zahlen liefert, dem muss man nicht erklären, warum einem sein Einsatz nicht passt. Man lässt die Zahlen sprechen und das entbietet den Manager von heute, dass er „selbst“ artikulieren sollte, was er als Feedback geben müsste. Jegliche Art von Leistungsbeurteilung wird über den Leisten des in Zahlen Messbaren geschlagen. Nun sind weder Zahlen noch das Messen schlecht, aber der Umgang mit dem Ge- messenen lässt wohl tatsächlich noch etwas Spielraum zum Besseren. Es fehlt der Refe- renzpunkt und dann nimmt man ihn von nebenan und tauft ihn Benchmark. „Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.“ So formulierte es Albert Einstein. Als Effekt dieser Messmanie geht das gute Augenmaß gerne verloren. Eine so genannte Scheinobjektivität dient häufig als Deck- mantel für Subjektivität und klare Erwar- tungshaltung. Protagoras' berühmter Satz „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ gibt uns die Richtung vor. Er setzt den Menschen als Interpret vor die Dinge. Jede Wahrneh- mung ist von der Perspektive abhängig. Der Schweizer Stefan Häseli ist Experte für Kommunikation, Business-Kabarettist und Autor mehrerer Bücher 36 TeleTalk 5/ 2022 www.teletalk.de