KONFLIKTE IN UNTERNEHMEN BRANCHEN & PRAXIS Vorurteil: Nur das harmonische Einver ständ nis der Menschen bietet Zusammenhalt. Konflikt wird als Gegenteil davon wahrgenommen, als Negation des Miteinanders. Viele wollen dem Konflikt aus dem Weg gehen oder ihn aus dem Weg schaffen. Das ver kennt die Doppelwertigkeit von Konflikten. abgestoßen wie angezogen. Interessante Geschichten bauen fast immer auf Konflik- ten. Die Weltliteratur. „Geschichten handeln stets von Dominanz und Unterwerfung“, sagt Schauspiellehrer Keith Johnstone, einem Be- gründer des modernen Improvisa ti ons - theaters. Spannungsverhältnisse sind eben dazu da, das Leben spannend zu machen. Fehlinterpretation: Das Vermeiden von Konflikten. „Es ist ein Grundirrtum zu glauben, ein Konflikt resultiere aus einem Fehlverhalten und sei deshalb korrigierbar.“ Diese Denkweise ist dafür verantwortlich, dass so viele Akteure in der Politik und in der Wirtschaft angesichts vieler neuer Konflikte lediglich gute Absichten bieten. Meistens erleben wir Ratlosigkeit. Ganz im Gegenteil: Entschiedenes Wollen und der Glaube an die Erziehbarkeit der Welt, wie wir es extrem in der Politik erleben, erzeugen erst die Konflikte, die dann gelöst werden sollen. Natürlich sind Konflikte lästig. Im Grunde will niemand etwas mit Konflikten zu tun haben. Im Extremfall zerstören sie sogar: Ehen, Eltern-Kind-Beziehungen, Ar- beitsbeziehungen, Freundschaften. Viele Ratgeber empfehlen das Vermeiden von Konflikten. Man liest: „Konfliktfrei leben“ oder „Wie man Konflikte löst“ oder „Kon- flikte positiv bewältigen“. Alle Titel be- kräftigen den Kulturkonsens, die allgemein verpflichtende Lebensweise. Aber Hand aufs Herz: Ist ein konfliktfreies Leben möglich? „Konfliktfreiheit ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern gar nicht erstrebenswert.“ Begreifen wir Konflikt dagegen als Lebens- form, als Daueraufgabe, die aus einem Nor- malverhalten resultiert, dann sieht das „Wie“, wie wir streiten, ganz anders aus. Dann erst beginnen wir, den Konflikt zu nutzen. Beobachten Sie sich einmal selbst: Wahr - scheinlich werden Sie von Konflikten ebenso Konflikte sind geradezu magisch anziehend, wenn andere sie haben. Während viele Men- schen die eigenen Konflikte oft verschweigen oder sogar verleugnen. Das mag Realitäts- ausblendung sein. Teilweise stimmt es: Von den meisten Konflikten sind Sie nicht direkt betroffen – siehe den aktuellen Krieg in der Ukraine. Viele Konflikte werden medial ver- mittelt und machen betroffen. Mundgerecht zubereitete Konflikte, mit Sicherheitsabstand serviert, gibt es täglich in den Nachrichten. Die meiste Zeit also werden Konflikte be- ob achtet. Man beobachtet, wie andere Menschen andere Menschen beobachten, sie beurteilen und entsprechend handeln. Konflikt als Katalysator für Entwicklung und Wachstum Die Attraktion von Konflikten ist auch in Unternehmen riesig. Ab einer gewissen Größe ist es kaum zu vermeiden, dass zwi- schen Abteilungen oder einzelnen Personen Wettbewerb, also Konflikt herrscht. Jeder kennt den Klatsch und Tratsch, der sich ab- spielt. In Unternehmen haben Konflikte manchmal sogar die Qualität von Show- spektakeln... Wer gegen wen? Wer hat ge- wonnen, wer verloren? Konflikte stimulieren Veränderungen. Sie wirken wie Warnblink- lichter: Es muss etwas passieren! Das ist be- sonders wichtig für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens: Nur der Konflikt löst von den Fesseln vergangener Erfolge. Inso- fern ist der Konflikt die Los-Lösung. Auf die Zusammenarbeit in Unternehmen bezogen heißt das: Konflikte zeigen die Viel- schichtigkeit von Sachverhalten auf. Dadurch werden die Menschen klüger. Der Konflikt deckt die Weltsicht unseres Gegenübers auf. Im Konflikt „besuchen“ wir die Welt des an - deren. Wenn wir uns wirklich interessieren, erfahren wir, was der andere wirklich will. Niemals können wir über einen Menschen so viel erfahren wie in einem Konflikt. Weil er dann für seine Weltanschauung, seine werte, Ideale in den Konflikt geht! Anders- herum stagnieren deshalb viele Beziehungen, wenn es in ihnen keine Konflikte mehr gibt. Insofern sind Konflikte für Unternehmen und Organisationen produktiv im besten Sinne. Jede Innovation, jeder Fortschritt entspringt einem Konflikt. Erst wenn wir den Konflikt als positives Versprechen sehen – und eben nicht mehr die Einvernehmlichkeit, weil sie Stillstand bedeutet – dann bewegt der Kon- flikt uns aktiv in Richtung Veränderung und trägt das Potenzial von Erneuerung in sich. Aus dieser Sichtweise resultiert praktisch die Pflicht zum Konflikt. Wir befinden uns immer dann in einem Konflikt, wenn eine Entscheidung fällig, aber noch nicht gefällt ist. Verstehen wir Konflikt als soziales Binde - mit tel des Unternehmens, bedeutet dies, ein Zeichen gegenseitiger Anerkennung. Vor aus gesetzt, dass aufrichtig und zivilisiert „ge strit ten“ wird. Man streitet sich ja schließ lich nur mit Menschen, die man als ebenbürtig wahrnimmt. Alles andere wäre Energiever schwen dung. Konflikt ist das Normale. Harmonie ist die Ausnahme. Gleichzeitig wird Harmo nie somit zum klugen Umgang mit Gegenstimmen. Sie wissen etwas bzw. glauben etwas zu wis sen, und dann werden Sie mit einer dissonanten Information, einer anderen Welt sicht, konfrontiert. Wenn diese Sie nicht überzeugt, können Sie sie ignorieren oder deren Überprüfung aufschieben. Wenn sie Ihnen einleuchtet, nennen Sie es Er- kenntnis. Um eine Erkenntnis reicher zu sein, heißt: um eine Gewissheit ärmer. Das ist die Chan ce! Das ist Ihre Chance für persönliche, berufliche, unternehmerische Weiterentwicklung. Miriam Engel ist Kommunikationswirtin, Trainerin für Führungs- kompetenzen und zertifizierte Personalentwicklerin, Buchautorin und Speakerin www.teletalk.de 2 / 2022 TeleTalk 43