BRANCHEN & PRAXIS FÜHRUNGSPERSÖNLICHKEIT Die Kampfkunst, wie ich sie seit mehr als zwei Jahrzehnten lehre und auf ein modernes Management übertrage, gibt dem Ego kein Gehör. Vielmehr beruhigt sie Geist und bringt Orientierung und Klarheit. Wie das geschehen kann? Nun zunächst einmal durch Ihr Atmen. Schließen Sie die Augen, lenken Sie die Aufmerksamkeit auf das Ein- und Ausatmen und das Verharren im Augenblick. Ihr im hohen Frequenzbereich flatterndes Gehirn wird wieder in einen ruhigen, fokussierten Zustand gebracht. Und wenn Sie dieses Atmen in Ihrem Alltag etablieren, bewusst Ihre Talente und Wünsche betrachten, wenn Sie sich erinnern, dass Sie innerlich stark und frei sind, dann kann es passieren, dass ein fast vergessener Schatz an die Bewusstseins-oberfläche gelangt. Die großen Meister der asiatischen Kampfkunst bezeichnen ihn als Schatz des WUDE. Er besteht aus den Werten Mitgefühl, Respekt, Gerechtigkeit, Weisheit und Auf- richtigkeit. Sie beschreiben die Moral des Siegers und die Erkenntnis, dass kein Leben ohne Schmerz und Niederlage möglich ist, aber jeder Schmerz aus eigener Kraft überwindbar ist. Die Schätze des WUDE bieten dazu die Instrumente. Nach einem modernen systemischen Ansatz könnte man sagen: Die Lösung selbst liege im Problem und damit in uns. Übrigens wirken die als unschlagbar geltenden Shaolin-Mönche seit je her nach diesen budd- histischen Prinzipien. Das macht sie angst- frei und unverletzbar. Bevor ein Sieg im Außen möglich wird, geht es um die innere Haltung! Vor dem Erfolg steht die Moral, lehren die großen Meister ihre Schüler. Sie mahnen vor Ungeduld und kleinteiligen, schnellen Ge- winnen. Ein wahrer Sieger be- schreitet den weiten Weg, gibt bei Unebenheiten nicht auf, geht durch den Schmerz hindurch, ohne daran zu erschöpfen. Und er empfindet Dankbarkeit, genau an dem Platz zu kämpfen, an dem er sich befindet. Und sollte ihn jemand mit Verführungen von seinem Weg abbringen wollen, würde er nie, wirklich niemals seine Prinzipien für Boni oder Geld verlassen. Das macht einen Kampfkünstler innerlich frei. Genau hier liegt für mich der Kern der Kampfkunst. Bevor ein Sieg im Außen möglich wird, geht es um die innere Haltung! Ich bin überzeugt, dass Manager, Team- und Projektleiter oder Unternehmer, die Verantwortung schultern und sich täglich in den Kampf um Erfolg begeben, von den asiatischen Kampfkünsten pro- fitieren. Sie jonglieren mit viel zu vielen Aufgaben und werden schwächer an Gesundheit, weil diese Aufgabe ihre Energiekontin- gente überschreiten. Da wird der Geist auf Methoden getrimmt und die Muskeln des Körpers nicht trainiert. Mehr vom Gleichen scheint das Motto zu lauten. Nur führt das nicht zu einer Erfüllung. Es erhöht den Stress und damit die Burn-out-Gefahr. Was dann dringend nötig wird, das sind die Wechsel aus Spannung und Ent- spannung, das Fließen von Yin und Yang und eine Taktik, wie der Sieg im Leben, der zumeist ein Sieg über sich selbst bedeutet, gelingen kann. Jeder Sieg muss vorbereitet werden, jeder Schlag kalkuliert. Nach einem Kampf gilt es, sich Ruhe und der Rückzug zu gönnen, um die Energie wieder in besonnene Kanäle zu leiten. Dieser Ablauf bleibt immerwährend – Fokus, Angriff oder Abwehr, Rückzug. Um es auf den Punkt zu bringen: • Sie brauchen den Fokus • Sie brauchen den Moment, in dem Sie all Ihren Willen auf einen Sieg der Gegenwart bündeln • Sie brauchen die Entschlusskraft zum Schlag • Sie brauchen die Ruhe im Geist, um Kraft wieder zu tanken Und: Sie können in einer einzigen Gegenwart nur einen Gegner besiegen! Leider läuft die Arbeit in digitalen Welten dieser Tatsache entgegen. Wir befassen uns gleichzeitig mit mehreren Projekten, eröffnen das Feld für Multitasking. Das wäre in etwa so, als würde ein Thaiboxer versuchen, den Gegner im Ring auszuknocken und gleichsam gegen einen Mann im Publikum zu kämpfen. Er würde unachtsam, un- kontrolliert, seine Energie würde verfranzen – und er würde verlieren. Der Weg des Siegers ist deshalb von einem unabänderlichen Fokus auf den Moment geprägt, von einer ungeheuerlichen Schlagkraft gezeichnet. Und diese mentale Stärke können Sie lernen! Es gibt keine Überwindung von Hindernissen ohne Demut und Dankbarkeit Wenn Sie diesem Weg gehen wollen, werden Sie nie wieder Angst vor einem Schmerz spüren, werden sich nie mehr von Gier, Ver- schwendung, Druck oder Konkurrenz niederdrücken lassen. Sie werden die Situation akzeptieren, um dann von dieser Stelle aus weiterzugehen, immer weiter Ihrem Ziel entgegen. Das wird kein leichter Weg sein. Denn kein Sieg, den ich meine, geschieht über Nacht. Es bedeutet das Verschieben der Grenzen und das mutige, furchtlose Betreten unebener Terrains. Er bedeutet auch, die Um- stände zu erkennen, die Widrigkeiten vorherzusehen. Dabei spielt die geistige Stärke eine ebenso große Rolle wie die kör- perliche Fitness. Denn eines bedingt das andere. Es gibt keine wahre Stärke, wo Werte wie Respekt – vor sich selbst und dem Gegner – fehlen. Es gibt keine Überwindung von Hindernissen ohne Demut und Dankbarkeit. Und wer Mitgefühl außer Acht lässt, wird auf Dauer seinen Einklang mit der Natur verlieren. 46 TeleTalk 6/2021 www.teletalk.de