VIRTUAL REALITY AM ARBEITSPLATZ BRANCHEN & PRAXIS Wenn Sie schon einmal an aufeinanderfol- genden Online-Meetings teilgenommen haben, kennen Sie das Phänomen der "Zoom-Fatigue", das durch lange Video- In teraktionen ausgelöst wird. Wie wäre es, wenn wir visuell erscheinen könnten, ohne tatsächlich vor der Kamera sitzen zu müs- sen? Virtual Reality könnte darauf eine Antwort bieten. So gibt es beispielsweise schon Chat-App-Anwendungen, die es den Benutzern von Microsoft Teams, Zoom und anderen Videokonferenzplattformen ermög - lichen, ihre visuellen Bilder durch cartoon- ähnliche 3D-Avatare zu ersetzen. Da die Interaktion mit Avataren weniger geistige Verarbeitung erfordert als das Betrachten menschlicher Gesichter auf dem Bildschirm, verringern sie die Ermüdung. Kommunikation über Avatare Schon vor der Pandemie nutzten verschie- dene Organisationen, darunter die US- Ma rine, die britische Armee, Disney und Wal - mart VR für die Veranstaltung von Konfe- renzen in gemeinsam genutzten virtuellen Räumen sowie für die Rekrutierung und Schulung. Unternehmen und Organisationen haben seit der COVID-19-Pandemie nach neuen Wegen gesucht, um Mitarbeiter zu beschäftigen, in Ver- bindung zu halten und sie gleichzeitig zu schützen. Wenn Unternehmen darüber nachdenken Telearbeit längerfristig zu verwirklichen, ist eine der größten Herausforderungen die fehlende soziale Verbindung, die auf dem Gefühl beruht, Teil einer Gruppe zu sein. Deshalb ist es wichtig, den psychologischen Mechanismus zu verstehen, der die Menschen dazu treibt, einige dieser Technologien zu übernehmen. In diesem Zusammen - hang untersuchte die Studie auch, wann und warum Führungs- kräfte es in einem Überwachungskontext vorziehen könnten, mit ihren Mitarbeitern virtuell über Computer-Avatare zu inter - agieren, anstatt von Angesicht zu Angesicht. „Wir untersuchen diese Frage im Zusammenhang mit häufiger Überwachung, da oft ein externes Bedürfnis besteht, die Menschen genau zu VIRTUAL REALITY: CX DER BESONDEREN ART beobachten, selbst wenn die Organisationskultur den Mitarbei - tern viel Autonomie einräumt. Die Manager könnten tatsäch lich zögern, dies zu tun, weil es mit der üblichen Gegenreaktion ein hergeht“, erklärt Raveendhran. Tatsächlich ergaben die For- schungen, dass Führungskräfte in Situationen, die ein negatives Urteil oder eine negative Reaktion auslösen können und in de- nen sie sich sozial bedroht fühlen, ihre Mitarbeiter lieber durch Avatare überwachen, als von Angesicht zu Angesicht. Die Ver- wendung von Avataren ermöglicht Führungskräften eine psycho - logische Distanz aufgrund der geringeren sozialen Präsenz im Vergleich zu persönlichen Interaktionen. Daher können diese neuen Technologien eine Möglichkeit bieten, virtuell präsent zu sein und gleichzeitig mehr psychologische Sicherheit zu erzielen. Persönlichkeitsfaktoren und psychologische Sicherheit Untersucht wurde auch die Rolle der Persönlichkeit bei der Be einflussung der Präferenz von Führungskräften für die Über- wachung durch Avatare. Hier konzentrierten sich die Forscher auf Persönlichkeitsfaktoren wie Extrovertiertheit, Verträg - lichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen. Dabei wurde festgestellt, dass bei der Kontrolle der anderen vier Persönlichkeitsdimensionen nur Neuroti - zis mus po sitiv mit der Präferenz der Führungskräfte für die Ver wendung von Avataren zusammenhing. Diejenigen, die auf der Neurotizismus-Skala weiter oben stehen, verwenden mit größerer Wahrscheinlichkeit Avatare, weil sie dadurch Kontrolle ausüben können, ohne tatsächlich körperlich anwesend zu sein, um alle negativen Rückwirkungen, die sich daraus erge - ben könnten, aufzufangen. Durch die Simulation von Interaktionen in der realen Welt kön- nen VR und andere Technologien dafür sorgen, dass sich computergestützte Kommunikation integrativer und anspre- chender anfühlt. Wie Raveendhrans Forschung jedoch zeigt, bietet der Einsatz von VR am Arbeitsplatz auch weitere be - deutende Vorteile. „Wir wissen jetzt“, so Raveendhran, „dass Menschen VR-Technologien einsetzen können, um sich psycho- logisch vor unangenehmen Situationen zu schützen. Und dieser distanzierende Aspekt kann am Arbeitsplatz manchmal genau - so nützlich sein, wie die Erfahrungen, die VR bieten kann.“ (Gosia Glinska/RedTT) Aus der Spielebranche mit der VR-Brille bekannt, hat die virtuelle Realität schon im Produkt- und Dienstleistungsbereich Einzug gehalten. Der Kunde muss sich nichts mehr vorstellen, sondern kann direkt eintauchen in eine Customer Journey der besonderen Art, die Wünsche virtuell erlebbar macht. Autokonzerne wie VW und BMW nutzen VR und lassen ihre Kunden Produkte hautnah erleben. Fußballprofis nutzen Virtual Reality für ihr Training, Tourismusunternehmen erleichtern durch 360°-Videos die Reiseentscheidung, Einrichtungshäuser zeigen, wie es sich im neuen Wohnzimmer lebt. Die Möglichkeiten der virtuellen Welt bieten je nach Anwendung viele Chancen und Möglichkeiten. Aber auch Risiken, wenn die virtuelle Realität zur gelebten Wirklichkeit wird. Roshni Raveendhran, Nathanael J. Fast, and Peter J. Carnevale, “Virtual (freedom from) reality: Evaluation apprehension and leaders’ preference for communicating through avatars,” Computers in Human Behavior, October 2020. www.teletalk.de 11-12/2020 TeleTalk 57