HÄSELI ALLES LOCKDOWN ODER WAS?! ihm sogar eine phänomenale und breit durch - drungene Zukunft. Nicht alle Anzeichen der allerletzten Wochen deuten allerdings darauf hin. Eigentlich schade, denn „Führen ins Homeoffice“ ist für Führungskräfte das, was für die digitale Verweigerer und Skep- tiker der Sprung in die Web-Konferenz war: Neues, kaltes Wasser! Sitzungen in der Kantine Auf Sitzung der Geschäftsleitung wurde notgedrungen auch über das „Lockdownen“ debattiert. Das war nicht ganz einfach. Es war wohl für einige Zeit die letzte, bei der man sich auch als physische Masse-Mensch zumindest in Sichtweise begegnete. Das Location-Setting (auch ein tolles, neues Wort) wurde berechnet: Fünf Personen im Sitzungs zimmer, das wäre zu eng gewesen. Da die jetzt stillgelegte Betriebskantine frei war, wurde diese just in ein x-large-Mee- ting-Room umgewandelt. Die Akustik ist bekanntlich gut. Ein Glücksfall, dass man diesen zu hohen Lärmpegel nie angegangen ist. Irgendwo in einer Projektgruppe ist versandet, dem Einhalt zu gebieten. Die Menschen müssen schreien, wenn die Bude voll ist und man sich trotzdem verstehen soll. Aber jetzt hat diese sakrale Halle seine Vorteile. Denn die Bestuhlung wurde selbst- verständlich nach den Social-Distance-Regeln konstruiert. Jeder hat zu jedem mindestens zwei Meter Abstand und man hört sich den- noch gut. Die Taskforce ist am forcen An besagtem Meeting wurde nun be schlos - sen, dass Homeoffice und Video-Meetings jetzt ein „Must-have“ sind. Die Eva lu ation, mit welchen konkreten Programmen nun von zu Hause aus gearbeitet wird, liegt zwar schon vier Jahre auf der To-Do-Liste der an- stehenden Digitalisierungsaufgaben. Hat man verpasst, aber jetzt muss es schnell ge- hen. Eine Taskforce wurde gebildet, die jetzt die Geschäftsleitung berät und Entschei- dungen vorbereitet. Der CEO meint, dass diese Taskforce sicherstelle, dass Beschlüsse jetzt schnell gefällt werden können. Nach gut einer Woche wurde dann klar, dass man sich auf die Microsoft-Lösung abstützt… In der Zwischenzeit wurde einfach ausprobiert. Jeder für sich selbst. Hannes im Homeoffice Hannes saß die letzten Tage ebenfalls in hei- mischen Gefilden und hat sich sein Home- office entsprechend eingerichtet. Damit er stimmungsmäßig nicht von den Blicken zu Küche, Nachbars Garten und Ferienbildern abgelenkt wird, ließ er sich noch drei Ex - po nate aus der Produktion zu sich nach Hause stellen. Denn: Feeling prägt das Den- ken, das Denken wiederum das Handeln. Die ersten Tage dienten ja vorzugweise da- zu, sich IT-mäßig zu finden. Anschließend kam der Entscheid der Taskforce, das Pro- gramm „VideoCall-&-DataManagement- 4-Industrial“ also das ViCaDaMi-System einzuführen. Kannte zwar vorher niemand, aber es sei das Beste. Auf der To-Do-Liste von vorgestern: Digitalisierung Hannes Vermutung hat sich bestätigt: Man hat zwar das vorangehende Jahr als „Jahr der Digitalisierung“ proklamiert und allen Ver- käufern ein Tablet mitgegeben, das sie anstelle des Ordners dem Kunden präsentieren. Das Motto war „wischen statt blättern“. Die Pro- duktion hat neue Bildschirme erhalten und die Teamleiter ebenfalls ein Notebook für die Diensteinteilungen. Shopfloor war nicht mehr die weiße Tafel, sondern Bildschirm. Das war Digitalisierung. Dass aber die Men- schen bereits bei der Installation eines Micro - soft-Programms überfordert waren, trug dazu bei, dass die ersten Meetings vor allem von technischen Abstimmungen geprägt waren. Und ein jeder produziert dabei seine eigenen, typischen Sätze, die zunehmend salonfähig werden: „wir warten noch auf Peter“, „ich hab keinen Ton“, „meine Leitung ist schlecht“, „warum sehe ich dich nicht“ oder „das Pro- gramm hängt“, sind nur eine kleine Auswahl dessen. Die Zeiten sind jetzt wohl definitiv volatil, agil, verscrumt und digital. Wer hätte je gedacht, dass alles, von dem man sagte, dass es bereits da ist, wirklich einmal kom- men könnte… Remote-Leadership – unremoted Jetzt mal im Ernst, so ganz ohne jeden sati- rischen Unterton: Für viele Menschen ist es gerade eine Phase des großen, persönlichen Fortschrittes. Die digitale Kompetenz hat exponentiell zugenommen. „Try and error“ ist auf einmal erlaubt. Auch derjenige, der mit so Sachen eigentlich nichts am Hut hat, ist schlichtweg dazu geziert, sich in Zoom, GoTo-Meeting, LifeSize, Skype, Teams, Webex zu schicken. Es musste einfach sein und hier haben vor allem auch Chefs und Chefinnen schnell gelernt. „Remote-Leader - ship“ ist seit ein paar Wochen auf google findbar und erste Wortschöpfungen, die jeglichem Sprachgefühl so etwas wie das „mit-dem-Fingernagel-rückwärts-über-die- Schiefertafel-schieben-Schmerzen“ verursa- chen, tauchen auf – und bleiben hoffentlich nicht. Denn „remote“ führen verlangt Kom- petenzen, die auch dem „unremoten“ (eine weitere, furchtbare Wortkreatur) Führen gut anstünden. Führen aus und auf Distanz heißt: führen mit viel Vertrauen – aber auch klaren Auftragserteilungen und Zielsetz - ungen. Im Grunde muss der Prozess sich selbst kontrollieren, dann muss es der Chef nicht ständig als Controlling-Mechanismus tun. Remote-Leadership heißt auch, sich über Kommunikation klare Gedanken zu machen. Unter dem Türrahmen oder beim Kaffee ein „mach-doch-mal-einen-Vor- schlag“, geht nicht. Klar strukturierte, top vorbereitete, virtuelle Meetings für Sach - geschäfte, vielleicht eine Office-WhatsApp- Gruppe für alles Zwischenmenschliche – auch vermeintlich unbedeutende Inhalte, haben ihre Berechtigung, wenn auch nur als Kli- ma-Hygiene-Faktor. Entscheidend ist nicht, ob man sich einfach ein paar schicke Tools beschaffen kann, sondern klar zu definieren, was, wie, wo, durch wen kommuniziert wird. Vermeint- liche Errungenschaften, die, sofern nicht vorher schon selbstverständlich, es durch - aus in die nun verbreitet anzutreffende „New-Normal“-Zeit (übrigens auch das ein neues Corona-geprägtes Wort…) schaffen dürften. Stefan Häseli ist Kommunikationstrainer, Keynote-Speaker, Moderator und Autor. Er betreibt ein Trainingsunternehmen in der Schweiz, stefan-haeseli.com 60 TeleTalk 07- 08/2020 www.teletalk.de